In der bisherigen öffentlichen Debatte wurden Kinder und Jugendliche hauptsächlich als potentielle Virusträger gesehen und diese Betrachtungsweise wiederholt sich nun auch in der Diskussion um die anstehenden Lockerungen. „Wir sind dabei Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenswelt auch weiterhin massiv einzuschränken, vorwiegend mit der Begründung andere zu schützen. Indem wir so vorgehen, erkennen wir als Gesellschaft Kinder und Jugendliche nicht als gleichwertige Personen an, sondern reduzieren sie als Mittel zum Zweck und missachten damit ihre persönliche Würde“, mahnt Tanja Rainer, SJR-Vorsitzende.
Der SJR vermisst in der aktuellen Diskussion die Perspektive der Kinder und Jugendlichen. Alle angedachten Maßnahmen, die auch Kinder und Jugendliche betreffen, werden fast ausschließlich aus der Perspektive der Erwachsenen betrachtet. „Es darf nicht ausschließlich um die Frage gehen, wie, wann und wo Kinder betreut werden sollen, damit Eltern ihrer Arbeit nachgehen können. Für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung ist der Umgang mit Gleichaltrigen essentiell. Kinder brauchen Kinder und Jugendliche brauchen Jugendliche“, so Rainer.
So gesehen findet auch die Diskussion rund um die Öffnung von Schulen und Kindergärten einseitig statt. Immer wieder wird unterstrichen, dass Schüler/innen im Fernunterricht weiterhin ihre Fachkompetenzen ausbauen können. Der SJR weist darauf hin, dass Lernen in der Schule und im Kindergarten vor allem auch soziales und emotionales Lernen ist. Die Sozialisierung mit Gleichaltrigen ist hierfür unabdingbar. Dies kann innerhalb der Familie kaum kompensiert werden. Kindern und Jugendlichen fehlt momentan auch die Zeit in den Kinder- und Jugendvereinen. So kommt die Möglichkeit des Austausches mit Gleichaltrigen, die Möglichkeit zu gestalten und innerhalb der Gesellschaft wirksam sein zu können zu kurz. Vielleicht wird gerade jetzt auch sichtbar, dass unserer Gesellschaft weitgehend der Blick fehlt, dass auch Kinder und Jugendliche für die Gesellschaft wichtige und unentbehrliche Beiträge leisten.
Es braucht wieder ein differenzierteres Menschenbild, mit dem wir als Gesellschaft Kindern und Jugendlichen in der aktuellen Debatte begegnen. Die jetzt anstehenden Regelungen zur weiteren Normalisierung müssen dem Bedarf nach hygienischer und epidemiologischer Risikominimierung ebenso gerecht werden, wie den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Unternehmen und eben auch den in den Kinderrechten artikulierten Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen auf Schutz, Förderung und Beteiligung.
„Bei Einschränkungen müssen Mittel und Wege gefunden werden, Nachteile auszugleichen – für alle Teile der Gesellschaft, gerade auch für Kinder und Jugendliche. Schließlich ist unklar, wie lange die Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufrechterhalten werden müssen, möglicherweise über viele Monate, bis wirksame Impfstoffe verfügbar sind“, führt Kevin Hofer, SJR-Geschäftsführer, aus.
Darüber hinaus ist bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Krise auch die Nachhaltigkeit im Sinne der Generationengerechtigkeit zu berücksichtigen. „Wir leihen uns nun sehr viel Geld bei unseren Kindern und sollten dieses daher auch so einsetzen, dass es ökologisch, ökonomisch und sozial Nachhaltigkeit wirkt. Das sind wir den zukünftigen Generationen schuldigt“, schließt Rainer ab.